Nils P. Heeßel (Würzburg)
Medizinische Texte aus dem Alten
Mesopotamien
Aus der 1. Tafel der Serie „Wenn
die Schädeldecke eines Mannes fiebrig ist“
Dieses Textbeispiel besteht aus einem Abschnitt aus der 1. Tafel der therapeutischen Serie
šumma amēlu muḫḫašu umma ukāl „Wenn die Schädeldecke eines Mannes fiebrig ist“.
Diese Serie ist uns insbesondere anhand von Manuskripten aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend aus Ninive bekannt, und auch der hier zitierte Abschnitt ist lediglich auf einem ninivitischen Manuskript erhalten. Diese aus zahlreichen Bruchstücken zusammengesetzte, zweikolumnige Tontafel wird heute im Britischen Museum, London aufbewahrt.
Alle heilkundlichen Texte, soweit sie nicht spezifischen Frauenleiden gewidmet sind,
gehen in ihrer Formulierung von einem männlichen Patienten aus, der als
awīlum „Mann“ bezeichnet wird. Das akkadische awīlum wird freilich – im Gegensatz zu dem auf
das Geschlecht fokussierenden Wort zikarum „Mann“ – auch für „Mensch“ im Allgemeinen verwendet, und aus Briefen wissen wir, dass Frauen von mesopotamischen Ärzten und Beschwörern ebenso behandelt wurden wie Männer. In heilkundlichen Texten wird das Wort daher von jenen Übersetzern, die die innerhalb einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft wenig überraschende
androzentrische Konzeption der babylonisch-assyrischen Heilkunde auch im übersetzten
Text reflektiert sehen möchten, als „Mann“ übersetzt, während diejenigen, die von einer
grundsätzlichen Übertragbarkeit der nicht klar geschlechtsspezifischen Texte auf beide
Geschlechter ausgehen, einer Übersetzung als „Mensch“ den Vorzug geben.
Wenn das Wangenhaar eines Mannes sehr schwindet: Über diesen
Mann sind sein Gott (und) seine Göttin verärgert.
Sein Ritual: Vor dem ersten Stern (?) richtest du ein Ritualarrangement
her, Datteln (und) saskû-Mehl schüttest du hin, mirsu-Zubereitung aus
Sirup (und) Butterschmalz stellst du hin.
Das Schlachtopfer führst du durch. Schulterfleisch, Fettgewebe (und) gebratenes Fleisch bringst
du dar, eine Bierlibation gießt du aus, vermischst GIŠ.GAN, merešmalê-Holz, ‚Fledermauskot‘, ‚sie stellt sich zwanzig entgegen‘-Pflanze,
Schifferkot‘-Pflanze] mit Öl, stellst es vor den Stern, (und) die folgende Beschwörung rezitierst du dreimal:
Du, Stern, der beleuchtet … , ... inmitten des Himmels, der die (Welt-) Gegenden übersieht,
ich, {so-und-so}, der Sohn des {so-und-so}, bin gebeugt vor Dir in dieser Nacht. Meinen Rechtsfall entscheide, mein Urteil fälle! Diese Pflanzen mögen mein Übel tilgen.
(Sobald) der Morgen hell wird, reibst du seine Wangen (mit diesen Zutaten) ab.
Wenn dito, GIŠ.GAN, amēlānu-Holz, elikulla-[Pflanze], kurkanû-Pflanze,
…, das Haar eines unbesprungenen Zickleins hängst du um seinen Hals.
Sechs Wortlaute (von Beschwörungen), um Haar wachsen zu lassen.
Wenn die Schädeldecke eines Mannes Flüssigkeit enthält, (dann) be-
rührst du immer wieder mit deinem großen Finger die Stelle, die Flüssigkeit aufweist. Wenn sein
Ohr schlecht riecht (und) die Flüssigkeit seines Schädels herabgestiegen ist, dann öffnest du (es), indem du seinen Schädel abschabst. Die Flüssigkeit seines Schädels lässt
du heraustreten und dann wäschst du ein dünnes Tuch in Wasser,
besprengst es mit Öl, auf die Wunde legst du es. Du zerstößt Pulver des
kiškanû-Holzes, Töpfer-,Mehl‘, auf die Wunde legst du es, und x Ta-
ge lang verbindest du (ihn so). Du löst es, und dann wäschst du ein
dünnes Tuch in Wasser, besprengst es mit Öl, auf die Wunde legst du es. Den Verband …
x+2 Tage lang verbindest du (ihn so). Du löst es, und dann wäschst du ein dünnes Tuch in Wasser, besprengst es mit Öl, auf die Wunde legst du es.
… frisches kasû vermischst du mit Röstkornmehl, auf die Wunde reibst du es, einen Tag lang verbindest du (ihn so). Du löst es und dann …Wacholder zerkleinerst
du, mit isqūqu-Mehl vermischst du es, mit kasû-Wasser verknetest du
es (und) verbindest (ihn damit). Die Oberfläche der Wunde rasierst du.
Bis er gesund wird, verbindest du (ihn so).
Du berührst immer wieder und wenn dann sein Ohr nicht schlecht riecht, dann legst du Kohle
------------------------------
Nach den ätiologischen Vorstellungen im alten Mesopotamien wurde eine
Erkrankung zumeist auf einen bewussten oder unbewussten Tabubruch seitens
des Betroffenen zurückgeführt. Solche Tabubrüche umfassten Delikte wie Mord,
Diebstahl, illegitimen Geschlechtsverkehr oder nicht gehaltene Versprechen gegenüber einer Gottheit. Als eine mögliche Folge – neben finanziellem Ruin, sozialer Ausgrenzung und anderem mehr – konnte eine verärgerte Gottheit auch eine Krankheit im Körper des Menschen platzieren. Doch hierzu musste die entsprechende Gottheit erst einmal identifiziert werden, damit sie direkt
angesprochen und durch Rituale mit dem Patienten versöhnt werden konnte. Da die am Körper des Patienten auftretenden Symptome direkt auf die verursachende Gottheit verwiesen, konnte ein kundiger Heiler durch die diagnostische Untersuchung nun nicht nur die Krankheit benennen und eine Prognose über den Krankheitsverlauf stellen, sondern er konnte auch die verantwortliche
Gottheit identifizieren. Aufgrund dieser grundlegenden kulturellen Vorstellungen über die Krankheitsätiologie nimmt die „Identifizierung des göttlichen
Krankheitsverursachers“ einen breiten Raum in den diagnostischen Texten ein. Das Wissen um ihre Heilwirkung wurde von alters her überliefert und über Generationen tradiert und erweitert. Beim Erscheinen der frühesten sumerischen und akkadischen therapeutischen Anweisungen ab der Mitte
des dritten vorchristlichen Jahrtausends tritt uns dieses Wissen bereits weitgehend ausgebildet entgegen und wird dann mit wenigen Änderungen unter Aufnahme von neuen, oft durch Import aus weit entfernten Gebieten verfügbar gewordenen Heilmitteln bis ans Ende der Keilschriftkultur fortgeschrieben.
Der Abschnitt stammt aus der 13. Tafel des babylonischen Diagnosehandbuchs.
Dieses akkadisch sakikkû (SA.GIG) „Symptome“ (wörtl.: „kranke Stränge“) genannte, 40 Tafeln umfassende Werk wurde der altorientalischen Überlieferung nach in der Mitte des 11. Jh.s v.u.Z. von dem borsippäischen Gelehrten Esagil-kīn-apli für König Adad-apla-iddina geschaffen.
Manuskripte dieser diagnostischen Serie wurden in fast allen altorientalischen Bibliotheken gefunden und bezeugen damit, dass die Serie bis zum Ende der Keilschriftkultur tradiert wurde.
9 Wenn sein Bauch heiß ist, Schweiß wie bei der lubāṭu-Krankheit ihm
immer wieder ausbricht und er (dann wiederum) kalt wird: 31 Tage
(wird es dauern), Hand des (Sonnengottes) Šamaš.
10 Wenn sein Bauch heiß ist, Schweiß ihm immer wieder ausbricht: Ent-
weder Hand des Šamaš oder Hand des (Dämons) Šulak, an der Vorderseite wurde er geschlagen.
11 Wenn sein Bauch heiß ist und (dann wieder) kalt, er sehr nach Wasser
verlangt und es dann (auch) trinkt: Hand der (Dämonin) Lamaštu.
12 Wenn sein Bauch heiß ist und (dann wieder) kalt, er immer wieder sehr
nach Wasser zum Waschen verlangt: Hand der (Dämonin) Lamaštu, er wird genesen.
13–14 Wenn sein Bauch weich ist, er sehr oft nach Wasser verlangt, sein Fieber gleichbleibend ist, vom Anfang (der Krankheit) bis zum Beginn der Nacht seine Krankheit (ihn) wach hält: Schlag des „Lauerer“ (-Dämons) (oder alternativ) des Totengeistes, er wird sterben.
15–16 Wenn sein Bauch fortwährend zittert, sein Epigastrium beständig
zuckt, er seine Augen immer wieder zur Dunkelheit ausrichtet: Hand des Totengeistes.
17–18 Wenn er an seinem Bauch betroffen ist: (Am) neunten Tag (ist es die)
Hand der Zwillingsgötter, am Zweiten die Hand des Adad, am Dritten
die Hand des Ea, am Vierten die Hand von Bēlet-ilī, am Fünften die
Hand von Papsukkal.
19 Wenn er an seinem Bauch betroffen ist, er aufgetrieben und aufgebläht
ist: Er wird sterben. : Wenn er an seinem Bauch betroffen und andauernd betrübt ist: Hand der Zwillingsgötter, er wird sterben.
20 Wenn er an seinem Bauch betroffen ist und dunkles Blut auswirft:
Packen der Zwillingsgötter, er wird sterben.
21 Wenn er an seinem Bauch und an seiner linken Leistenbeuge betroffen
ist und er Blut erbricht: 31 Tage (wird es dauern), Hand des Nergal, er wird sterben.
22 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten Seite, ein durchdringender
Schmerz sitzt und er sich erbricht: Hand der Ištar, er wird genesen.
23 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein durchdringender
Schmerz sitzt und er sich nicht erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
24 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er sich erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
25 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er sich erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
26 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er Blut erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
27 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er Blut erbricht: Hand des Adad, er wird sterben.
28 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und Blut (aus seinem Mund) fließt: Er wird sterben.
29–30 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und seine Augen voller gelber Fäden sind: Hand der
Ištar, er wird sterben.
31 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, dito (= ein brennender
Schmerz sitzt) und an seinen Lippen ein Ekzem auftritt: Hand des Sîn
oder Hand der Ištar, er wird sterben.
32 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten und linken Seite, ein durch-
dringender und brennender Schmerz sitzt und er dunkles Blut aus-
wirft, er wird sterben.
https://www.academia.edu/35209104/Medizinische_Texte_aus_dem_Alten_Mesopotamien?swp=rr-rw-wc-42078521
weiteres:
https://www.academia.edu/42078521/IM_148516_Ein_neues_Abwehrzauberritual_vor_dem_Mondgott?swp=rr-rw-wc-42078562
https://www.academia.edu/14119258/Die_Entwicklung_der_keilschriftlichen_sumerischen_Beschwörungsliteratur_von_den_Anfängen_bis_zur_Ur_III-Zeit?swp=rr-rw-wc-35209104
weitere Omina: https://www.academia.edu/2913381/_Sieben_Tafeln_aus_sieben_St%C3%A4dten_%C3%9Cberlegungen_zum_Prozess_der_Serialisierung_von_Texten_in_Babylonien_in_der_zweiten_H%C3%A4lfte_des_zweiten_Jahrtausends_v_Chr
Medizinische Texte aus dem Alten
Mesopotamien
Aus der 1. Tafel der Serie „Wenn
die Schädeldecke eines Mannes fiebrig ist“
Dieses Textbeispiel besteht aus einem Abschnitt aus der 1. Tafel der therapeutischen Serie
šumma amēlu muḫḫašu umma ukāl „Wenn die Schädeldecke eines Mannes fiebrig ist“.
Diese Serie ist uns insbesondere anhand von Manuskripten aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend aus Ninive bekannt, und auch der hier zitierte Abschnitt ist lediglich auf einem ninivitischen Manuskript erhalten. Diese aus zahlreichen Bruchstücken zusammengesetzte, zweikolumnige Tontafel wird heute im Britischen Museum, London aufbewahrt.
Alle heilkundlichen Texte, soweit sie nicht spezifischen Frauenleiden gewidmet sind,
gehen in ihrer Formulierung von einem männlichen Patienten aus, der als
awīlum „Mann“ bezeichnet wird. Das akkadische awīlum wird freilich – im Gegensatz zu dem auf
das Geschlecht fokussierenden Wort zikarum „Mann“ – auch für „Mensch“ im Allgemeinen verwendet, und aus Briefen wissen wir, dass Frauen von mesopotamischen Ärzten und Beschwörern ebenso behandelt wurden wie Männer. In heilkundlichen Texten wird das Wort daher von jenen Übersetzern, die die innerhalb einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft wenig überraschende
androzentrische Konzeption der babylonisch-assyrischen Heilkunde auch im übersetzten
Text reflektiert sehen möchten, als „Mann“ übersetzt, während diejenigen, die von einer
grundsätzlichen Übertragbarkeit der nicht klar geschlechtsspezifischen Texte auf beide
Geschlechter ausgehen, einer Übersetzung als „Mensch“ den Vorzug geben.
Wenn das Wangenhaar eines Mannes sehr schwindet: Über diesen
Mann sind sein Gott (und) seine Göttin verärgert.
Sein Ritual: Vor dem ersten Stern (?) richtest du ein Ritualarrangement
her, Datteln (und) saskû-Mehl schüttest du hin, mirsu-Zubereitung aus
Sirup (und) Butterschmalz stellst du hin.
Das Schlachtopfer führst du durch. Schulterfleisch, Fettgewebe (und) gebratenes Fleisch bringst
du dar, eine Bierlibation gießt du aus, vermischst GIŠ.GAN, merešmalê-Holz, ‚Fledermauskot‘, ‚sie stellt sich zwanzig entgegen‘-Pflanze,
Schifferkot‘-Pflanze] mit Öl, stellst es vor den Stern, (und) die folgende Beschwörung rezitierst du dreimal:
Du, Stern, der beleuchtet … , ... inmitten des Himmels, der die (Welt-) Gegenden übersieht,
ich, {so-und-so}, der Sohn des {so-und-so}, bin gebeugt vor Dir in dieser Nacht. Meinen Rechtsfall entscheide, mein Urteil fälle! Diese Pflanzen mögen mein Übel tilgen.
(Sobald) der Morgen hell wird, reibst du seine Wangen (mit diesen Zutaten) ab.
Wenn dito, GIŠ.GAN, amēlānu-Holz, elikulla-[Pflanze], kurkanû-Pflanze,
…, das Haar eines unbesprungenen Zickleins hängst du um seinen Hals.
Sechs Wortlaute (von Beschwörungen), um Haar wachsen zu lassen.
Wenn die Schädeldecke eines Mannes Flüssigkeit enthält, (dann) be-
rührst du immer wieder mit deinem großen Finger die Stelle, die Flüssigkeit aufweist. Wenn sein
Ohr schlecht riecht (und) die Flüssigkeit seines Schädels herabgestiegen ist, dann öffnest du (es), indem du seinen Schädel abschabst. Die Flüssigkeit seines Schädels lässt
du heraustreten und dann wäschst du ein dünnes Tuch in Wasser,
besprengst es mit Öl, auf die Wunde legst du es. Du zerstößt Pulver des
kiškanû-Holzes, Töpfer-,Mehl‘, auf die Wunde legst du es, und x Ta-
ge lang verbindest du (ihn so). Du löst es, und dann wäschst du ein
dünnes Tuch in Wasser, besprengst es mit Öl, auf die Wunde legst du es. Den Verband …
x+2 Tage lang verbindest du (ihn so). Du löst es, und dann wäschst du ein dünnes Tuch in Wasser, besprengst es mit Öl, auf die Wunde legst du es.
… frisches kasû vermischst du mit Röstkornmehl, auf die Wunde reibst du es, einen Tag lang verbindest du (ihn so). Du löst es und dann …Wacholder zerkleinerst
du, mit isqūqu-Mehl vermischst du es, mit kasû-Wasser verknetest du
es (und) verbindest (ihn damit). Die Oberfläche der Wunde rasierst du.
Bis er gesund wird, verbindest du (ihn so).
Du berührst immer wieder und wenn dann sein Ohr nicht schlecht riecht, dann legst du Kohle
(und) Steine um seinen Kopf herum hin.
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Nach den ätiologischen Vorstellungen im alten Mesopotamien wurde eine
Erkrankung zumeist auf einen bewussten oder unbewussten Tabubruch seitens
des Betroffenen zurückgeführt. Solche Tabubrüche umfassten Delikte wie Mord,
Diebstahl, illegitimen Geschlechtsverkehr oder nicht gehaltene Versprechen gegenüber einer Gottheit. Als eine mögliche Folge – neben finanziellem Ruin, sozialer Ausgrenzung und anderem mehr – konnte eine verärgerte Gottheit auch eine Krankheit im Körper des Menschen platzieren. Doch hierzu musste die entsprechende Gottheit erst einmal identifiziert werden, damit sie direkt
angesprochen und durch Rituale mit dem Patienten versöhnt werden konnte. Da die am Körper des Patienten auftretenden Symptome direkt auf die verursachende Gottheit verwiesen, konnte ein kundiger Heiler durch die diagnostische Untersuchung nun nicht nur die Krankheit benennen und eine Prognose über den Krankheitsverlauf stellen, sondern er konnte auch die verantwortliche
Gottheit identifizieren. Aufgrund dieser grundlegenden kulturellen Vorstellungen über die Krankheitsätiologie nimmt die „Identifizierung des göttlichen
Krankheitsverursachers“ einen breiten Raum in den diagnostischen Texten ein. Das Wissen um ihre Heilwirkung wurde von alters her überliefert und über Generationen tradiert und erweitert. Beim Erscheinen der frühesten sumerischen und akkadischen therapeutischen Anweisungen ab der Mitte
des dritten vorchristlichen Jahrtausends tritt uns dieses Wissen bereits weitgehend ausgebildet entgegen und wird dann mit wenigen Änderungen unter Aufnahme von neuen, oft durch Import aus weit entfernten Gebieten verfügbar gewordenen Heilmitteln bis ans Ende der Keilschriftkultur fortgeschrieben.
Der Abschnitt stammt aus der 13. Tafel des babylonischen Diagnosehandbuchs.
Dieses akkadisch sakikkû (SA.GIG) „Symptome“ (wörtl.: „kranke Stränge“) genannte, 40 Tafeln umfassende Werk wurde der altorientalischen Überlieferung nach in der Mitte des 11. Jh.s v.u.Z. von dem borsippäischen Gelehrten Esagil-kīn-apli für König Adad-apla-iddina geschaffen.
Manuskripte dieser diagnostischen Serie wurden in fast allen altorientalischen Bibliotheken gefunden und bezeugen damit, dass die Serie bis zum Ende der Keilschriftkultur tradiert wurde.
9 Wenn sein Bauch heiß ist, Schweiß wie bei der lubāṭu-Krankheit ihm
immer wieder ausbricht und er (dann wiederum) kalt wird: 31 Tage
(wird es dauern), Hand des (Sonnengottes) Šamaš.
10 Wenn sein Bauch heiß ist, Schweiß ihm immer wieder ausbricht: Ent-
weder Hand des Šamaš oder Hand des (Dämons) Šulak, an der Vorderseite wurde er geschlagen.
11 Wenn sein Bauch heiß ist und (dann wieder) kalt, er sehr nach Wasser
verlangt und es dann (auch) trinkt: Hand der (Dämonin) Lamaštu.
12 Wenn sein Bauch heiß ist und (dann wieder) kalt, er immer wieder sehr
nach Wasser zum Waschen verlangt: Hand der (Dämonin) Lamaštu, er wird genesen.
13–14 Wenn sein Bauch weich ist, er sehr oft nach Wasser verlangt, sein Fieber gleichbleibend ist, vom Anfang (der Krankheit) bis zum Beginn der Nacht seine Krankheit (ihn) wach hält: Schlag des „Lauerer“ (-Dämons) (oder alternativ) des Totengeistes, er wird sterben.
15–16 Wenn sein Bauch fortwährend zittert, sein Epigastrium beständig
zuckt, er seine Augen immer wieder zur Dunkelheit ausrichtet: Hand des Totengeistes.
17–18 Wenn er an seinem Bauch betroffen ist: (Am) neunten Tag (ist es die)
Hand der Zwillingsgötter, am Zweiten die Hand des Adad, am Dritten
die Hand des Ea, am Vierten die Hand von Bēlet-ilī, am Fünften die
Hand von Papsukkal.
19 Wenn er an seinem Bauch betroffen ist, er aufgetrieben und aufgebläht
ist: Er wird sterben. : Wenn er an seinem Bauch betroffen und andauernd betrübt ist: Hand der Zwillingsgötter, er wird sterben.
20 Wenn er an seinem Bauch betroffen ist und dunkles Blut auswirft:
Packen der Zwillingsgötter, er wird sterben.
21 Wenn er an seinem Bauch und an seiner linken Leistenbeuge betroffen
ist und er Blut erbricht: 31 Tage (wird es dauern), Hand des Nergal, er wird sterben.
22 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten Seite, ein durchdringender
Schmerz sitzt und er sich erbricht: Hand der Ištar, er wird genesen.
23 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein durchdringender
Schmerz sitzt und er sich nicht erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
24 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er sich erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
25 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er sich erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
26 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er Blut erbricht: Hand der Ištar, er wird sterben.
27 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und er Blut erbricht: Hand des Adad, er wird sterben.
28 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und Blut (aus seinem Mund) fließt: Er wird sterben.
29–30 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, ein brennender
Schmerz sitzt und seine Augen voller gelber Fäden sind: Hand der
Ištar, er wird sterben.
31 Wenn in seinem Bauch, auf seiner linken Seite, dito (= ein brennender
Schmerz sitzt) und an seinen Lippen ein Ekzem auftritt: Hand des Sîn
oder Hand der Ištar, er wird sterben.
32 Wenn in seinem Bauch, auf seiner rechten und linken Seite, ein durch-
dringender und brennender Schmerz sitzt und er dunkles Blut aus-
wirft, er wird sterben.
https://www.academia.edu/35209104/Medizinische_Texte_aus_dem_Alten_Mesopotamien?swp=rr-rw-wc-42078521
weiteres:
https://www.academia.edu/42078521/IM_148516_Ein_neues_Abwehrzauberritual_vor_dem_Mondgott?swp=rr-rw-wc-42078562
https://www.academia.edu/14119258/Die_Entwicklung_der_keilschriftlichen_sumerischen_Beschwörungsliteratur_von_den_Anfängen_bis_zur_Ur_III-Zeit?swp=rr-rw-wc-35209104
weitere Omina: https://www.academia.edu/2913381/_Sieben_Tafeln_aus_sieben_St%C3%A4dten_%C3%9Cberlegungen_zum_Prozess_der_Serialisierung_von_Texten_in_Babylonien_in_der_zweiten_H%C3%A4lfte_des_zweiten_Jahrtausends_v_Chr
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