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Überlegungen zu „Erra und Išum“

aus: "Der Zorn Marduks, Erras und Sanheribs. Zu Datierung und Funktion von „Erra und Išum“" von Sabina Franke


Wie es zu Kriegen kommt und wie man sie verhindern kann, ist ein Thema, das die Menschheit bis heute immer wieder beschäftigt. Der Alte Orient bietet für dieses Problem auf den ersten Blickrelativ einfache Lösungen an: Wenn eine Gottheit ihre Stadt verlässt – ob aus eigener Entscheidung oder unfreiwillig durch Raub, ist unerheblich –, bleibt diese schutzlos zurück. Ohne göttlichen Schutz herrschen Chaos, Untergang und Zerstörung, und Angriffe eines Gegners sind jederzeit möglich. 

Diese Überlegungen hier beziehen sich darauf, dass sich der „Erra und Išum“-Mythos möglichweise auf die Zerstörung Babylons durch Sanherib bezieht.

Der Gott Erra beschließt den Götterkönig Marduk zu entthronen. In einem blindwütigen Feldzug zerstört Erra verschiedene Städte seines eigenen Landes sowie fremde Länder, bis es seinem Vezier Išum gelingt, ihn zu beruhigen, Anarchie und Chaos zu beseitigen und die ursprüngliche Weltordnung wiederherzustellen. Als Erra mit der Absicht, Marduk zum Verlassen seines Throns zu überreden, bei dem Götterkönig eintrifft und ihn fragt, warum sein Aussehen so ungepflegt sei, berichtet Marduk seinem Besucher von seinem Zorn, der einst die Sintflut auslöste. 

I:132-133 „Vor langer Zeit wurde ich zornig und erhob mich von meinem Platz und führte eine Flut herbei; ich erhob mich von meinem Platz, und die Regierung von Himmel und Erde löste sich auf.“

Dieser Zorn Marduks bezieht sich auf ein längst vergangenes Ereignis und hat keine unmittelbare Bedeutung für den Fortgang von „Erra und Išum“. Der damalige Zorn allerdings wirkt insofern nach, als die Handwerker und Künstler, die Marduks Statue erneuern könnten, nicht mehr greifbar sind. Daher verlässt Marduk im weiteren Verlauf der Erzählung seinen Platz nicht im Zorn, sondern um seine Statue und seine Herrschaftskraft zu erneuern, deren Glanz und Ausstrahlung verschwunden sind (I 140-162). Als seinen Vertreter akzeptiert er Erra, der ihm angeboten hatte, sich während seiner Abwesenheit um die Aufrechterhaltung der Ordnung der Welt zu kümmern. Marduks Funktion und Bedeutung scheinen grundsätzlich unangetastet zu bleiben, obwohl er sich freiwillig für die Zeit der Reparatur von seinen Aufgaben zurückzieht. Erra jedoch scheint sich zu weigern, die einmal gewonnene Macht zurückzugeben.

Zorn und ungezügelte Wut treiben Erra und sein Gefolge, die Sebettu, zu ihren Handlungen. In Erras Selbstpreis (I 106-123) finden wir eine für den Zornigen typische Selbstüberschätzung, denn Erra sieht sich mit Marduk auf einer Ebene, wenn er, nachdem Marduk seinen Platz verlassen hat, die Gelegenheit zur Vernichtung der Menschen nutzen möchte. Erst am Ende seines Zerstörungszuges reift bei Erra die Erkenntnis, dass er in seinem Zorn zu weit gegangen ist (V 6-15).

Išum gilt als Helfer und Freund der Menschen. Er fühlt Mitleid mit ihnen und versucht Erra aufzuhalten. Er möchte Erra mäßigen, ist Schutz vor dessen überschäumender Gewalt, führt dann aber dennoch die Zerstörungen im Namen Erras durch und verkündet am Ende den Plan für den Wiederaufbau des Landes. 

Offensichtlich reichten der Zorn und der Rückzug Marduks allein nicht aus, um die Zerstörung der Städte Babylon, Sippar, Uruk, Dūr-Kurigalzu und Dēr in der Erzählung zu erklären. Nur Erras Eingreifen ermöglicht diese umfassende Vernichtung, die im übrigen nicht als göttlicher Akt angesehen wird, sondern als ein menschliches Werk: denn Erra – so wirft es ihm Išum in seiner Anklage vor – verehre den Gott Marduk nicht mehr, habe seine göttliche Natur verändert und gleiche in seiner Handlungsweise einem Menschen.

Nachdem mehrere Versuche Sanheribs fehlgeschlagen waren, Babylon zu kontrollieren, zerstört der assyrische König im Jahre 689 v.u.Z. die Stadt, raubt die Götterbilder und macht die ehrwürdige Kult- und Kulturstadt dem Erdboden gleich. Unmittelbar nach seinem Regierungsantritt im Jahre 680 v.u.Z. hat Asarhaddon (Sohn von Sanherib) mit dem Wiederaufbau der von Sanherib zerstörten Stadt begonnen.

Die Datierung von „Erra und Išum” ist immer wieder diskutiert worden. Nach sprachlichen Kriterien wäre der Zeitraum von ca. 1000 bis ca. 650 v.u.Z. grundsätzlich möglich. Womöglich gehört der Mythos aber zu den theologisch-intellektuellen Auseinandersetzungen über die Babylonpolitik Sanheribs, die von den Gelehrten an Asarhaddons Hof geführt wurden. In einer solchen Interpretation könnte man Sanherib mit Erra gleichsetzen und in der mäßigenden Rolle Išums den Herrscher Asarhaddon sehen, der Babylon eine glückliche Zukunft verspricht. Sanherib handelt aus eigenem zerstörerischen Antrieb und vernichtet im Zorn die Kultstadt Babylon. Erra wie Sanherib herrschen absolut und beide kontrollieren die Stadt zunächst eine gewisse Zeit, bevor sie beschließen, sie zu zerstören. 

Als Asarhaddon begann, Babylon wieder aufzubauen, befand sich die Statue Marduks noch immer in Assyrien. Asarhaddon entschloss sich, die Statue Marduks im Tempel Assur an-fertigen zu lassen. In seinen Inschriften finden wir detaillierte Berichte über die unter-schiedlichen Stadien der Arbeit, über die Künstler, die beschäftigt und über die Materialien, die verwendet wurden.


Bild: 

Erra-Epos
Montserrat Museum, Barcelona, Spain
Museum no. MM 0837
neu-babylonisch ca. 626-539 v.u.Z.






(PDF) Der Zorn Marduks, Erras und Sanheribs. Zu Datierung und Funktion von „Erra und Išum“ | Sabina Franke - Academia.edu

CDLI-Archival View (ucla.edu)

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